Der blaue Mauritius

Textprobe

 

     Vor einigen Jahren haben belgische Journalisten (Sie wissen schon, dieses Land zwischen Frankreich, Deutschland und den Niederlanden) nach jahrelanger akribischer Vorbereitung eine sogenannte Ente platzen lassen. Es wurde in den Hauptnachrichten das Ende der belgischen Monarchie ausgerufen. Angeblich sei der König zurückgetreten und das Parlament beriete über den Fortgang der demokratischen Regierung ohne Staatsoberhaupt, wovon hinter verschlossenen Türen nichts mitzubekommen sei und eine Liveschaltung zum Parkplatz des Regierungsgebäudes war alles, was hautnah zu senden war. Eine Nacht und einen halben Tag lang war das Volk in Aufruhr, bevor sich herausstellte, dass eine Handvoll Journalisten diesen Coup ausgeheckt hatte, um die Labilität und die Subjektivität dessen zu demonstrieren, was so alles über den Äther geht. Assoziationen zu Twitter und A beautiful mind wabern durch mein Bewusstsein und wollen punktgenau festgehalten werden. Der britische Komiker Stephen Fry befreite sich und seine Mitfahrstuhlfahrer aus einem steckengebliebenen Lift mittels Laptop und Twitter. Die Gedanken, die sich bei der Erinnerung an die mehrmalige Rezeption des Filmes über Johnny Nash entfalten wollen, sträuben sich noch etwas. Die Subjektivität unserer Wahrnehmung ist eine Angelegenheit zwischen Bilderbüchern, Polaroidphotos, Aufsätzen und Medien in Wort, Bild und Netz und keineswegs eine exklusive Domäne der psychischen Gesundheit oder Krankheit.

 

 Es sei angemerkt, dass durchaus Grund zur Hoffnung besteht, denn wenn dem Autor und seinem Kugelschreiber kein Streich gespielt wurde, hat das vielgescholtene Internet bei der orangenen Revolution in der Ukraine wohl eine wichtige Rolle gespielt. Dann widerum klaue ich meine Texte zusammen, bin monopolar und depressiv und bilde mir ein, daß es von einem pornographischen Foto vom Anfang des letzten Jahrhunderts bis zur Verbreitung von rotten.com und radikalen Inhalten sowie fanatischen, verletzenden und verbrecherischen Mißhandlungen von normalerweise Schutzbedürftigen kein sehr besonders langer Weg war. Man fragt sich unweigerlich, was kann nach Reality-TV, Talkshowbrei und unsäglichen Gerichtsshows noch alles kommen und jedesmal wenn man denkt, das Niveau habe soeben den absoluten Nullpunkt erreicht, wird man eines besseren belehrt. Ob die versuchte Demaskierung von 30 aufeinanderfolgenden Bild-Titelseiten in der Harald-Schmidt-Show ein probates Mittel ist oder ein Tropfen auf den heißen Stein sowie Teil des Sendeoverkills, sei dahingestellt. Unmöglich, die Flucht zu ergreifen, scheint es dennoch fraglich, ob man lieber den Red Hot Chili Peppers mit 'throw away your television, time to make this clean decision' folgen soll oder besser Teil des Systems wird und versucht, seine Weg zwischen Weblog, Essays oder gar Gänsefüßchen Literaturversuchen Gänsefüßchen oben zu finden.

 

 Agostino Ramelli war ein mittelalterlicher Erfinder einer sogenannten 'Bücherlesemaschine', also vermutlich Post-Gutenberg, diese Information sei zur Vergleichbarkeit von Buch und Netz ebenso angemerkt wie die Quelle hdnet.de. Das komplexe Geflecht, um nicht zu sagen Netz aus menschlichen Beziehungen zwischen Arzt, Eltern, Kindern, Partnern, Büchern sowie Schicksalsgenossen zu entwirren, sei ambitionierteren Egomanen überlassen. WER jedoch alles WAS über Sie recherchieren kann, ob Personalchef oder Stalker, finden Sie im Zweifel eher zu früh als zu spät heraus. Was sich im besten Falle als Luxusproblem erweist. Zwischen Leben und Tod hängen oder schweben, wenn nicht gerade Patient einer Intensivstation, normalerweise Menschen, die nicht im Netz vertreten sind und das Damoklesschwert öffentlicher Bloßstellung sei jedem als warnendes Beispiel vor Augen geführt. Manche haben Hunger, andere eine Sinnkrise, dritte eine Sendepause. Bereinigt werden können manche Fehler nicht. Live, 3-D und in Farbe sowie etwas blauäugig schließe ich diese Kolumne und erkläre das Wort zum Dienstag als wiedereröffnet.

Der König ist tot, es lebe der König.

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